Blog
Hier erfahren Sie mehr über Rothenburg ob der Tauber.
-
Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber
Weihnachtsmärkte und Fachwerkromantik als Hingucker - das haben das Elsass und Rothenburg ob der Tauber auf den ersten Blick gemein. Doch historisch hat Rothenburg ob der Tauber viel mehr mit der Region in Frankreich zu tun: In der elsässischen Kaiserpfalz Hagenau fand 1274 jener Reichstag statt, bei dem König Rudolf von Habsburg ein Bündel von Privilegien für Städte in seinem Einflussgebiet verfasste. Auch Rothenburg ob der Tauber durfte sich fortan als Reichsstadt etwas sicherer fühlen. König Rudolf verfolgte mit der Vergabe dieser besonderen Freiheitsrechte als Erster im Hause Habsburg natürlich rein realpolitische Ziele: er wollte sich die Macht im Reich sichern, die kurz nach dem Untergang der Staufer-Dynastie (der letzte Erbe Konradin war 1268 in Neapel hingerichtet worden) noch sehr volatil war.
Rothenburg trat in dieser Sache also keineswegs als Bittsteller gegenüber dem König auf. Die in Latein verfasste Urkunde erreichte durch einen Abgesandten oder Boten aus Westen kommend den Rat der Stadt. Für die Bürger der Stadt änderte der Status und das Bündel von Privilegien zunächst im Alltag wenig. Doch für die langfristige Planung fühlte sich der Status als Reichsstadt an wie eine Befreiung. Man war nun in gewissen Disputen befreit von auswärtigen Gerichten wie dem der Zollern (die späteren Markgrafen) oder dem königlichen Landgericht der Bischöfe in Würzburg. Ein Landgericht wurde nun auch auf dem Richterstuhl in Rothenburg gehalten, der neue Posten des Landrichters wurde vom Rat der Stadt bestimmt. Naturgemäß fielen die Entscheidung eines solchen Landgerichts vor Ort im Zweifel eher pro Rothenburg aus, wenn im nicht gerade freundlich gesinnten Würzburg Recht gesprochen wurde. Die Landadeligen aus Nordenberg und Hohenlohe konnten den Rothenburgern nun nicht mehr ganz so unverhohlen auf der Nase herumtanzen. Eine Klostergründung als Machtbasis inmitten der Stadt, wie sie die Nordenberger mit dem Dominikanerinnenkloster einst vollführten, war nun nicht mehr so einfach möglich. Auch Aneignungen von Ländereien Rothenburgs durch den umliegenden Adel waren nun weitaus riskanter als zuvor.
Jedoch: der häufig verwendete Begriff „Freie Reichsstadt“ führt in die Irre. Es gab generell drei Kategorien von Städten im Reich zu jener Zeit: die Reichsstädte wie Rothenburg und Dinkelsbühl, die direkt dem König oder Kaiser unterstanden und deren Schutz durch ihn generell garantiert war. Es gab so genannte Landstädte wie jene der Markgrafen (Ansbach, Uffenheim) oder Bischöfe (Würzburg). Und es gab - vorwiegend im Norden der heutigen Bundesrepublik - Freie Städte, die sich später in Verbünden wie der Hanse gegenseitig schützten: Hamburg und Bremen sind prominente Beispiele. In Rothenburg dagegen sah man schon damals an den Stadttoren die Zugehörigkeit zum Kaiser symbolisch. Das Heilige Römische Reich verwendete den Doppeladler in Schwarz auf Gold seit der Regierungszeit Kaiser Sigismunds, der genaue Beschluss fiel im Jahr 1433. Vorher galt der einköpfige Adler als Zeichen kaiserlicher Gewalt. Deswegen sind viele Adler in Rothenburg noch einköpfig und damit nicht Habsburgisch (Siebersturm, Kobolzeller Tor, Spitalturm, Galgenturm, Röderturm etc. / Doppelkopfadler z.B. auf der Rathausaltane oder außen an der Klingenbastei).
Zudem finden in Rothenburg zwei Reichstage statt: einer schreibt sogar Geschichte. Friedrich III. verleiht 1474 dem Dänenkönig Christian I. im Reichstag von Rothenburg das Eigentum an der Grafschaft Holstein. Holstein bleibt bis 19. Jahrhundert dänisches Staatsgebiet, ehe ein Krieg des Deutschen Kaiserreichs diesen Status beendet. Wer am Marktplatz von Rothenburg an der Ratsstube genau hinschaut, entdeckt die Ehrenplakette für den Besuch von Christian I. Er nächtigte während des Reichstages in dem Patrizierhaus an prominenter Stelle. Generell war es auch einem offiziellen Vertreter Rothenburgs stets erlaubt, an den Reichstagen teilzunehmen. An fernen Orten geschah dies oft über Mittelsmänner, welche die Interessen einer ganzen Gruppe von Reichsstädten vertraten. Rein monetär lohnte sich der Status als Reichsstadt für Rothenburg neben der Erhebung von Zöllen an den Handelsrouten auch bei der Festsetzung der Vermögenssteuer: zwei Beamte fragten dabei direkt bei den Bürgern der Stadt nach deren Besitz, es wird von der Steuerehrlichkeit ausgegangen. In einer kleinen Stadtgesellschaft wie Rothenburg (die Einwohnerzahl liegt Ende des 13. Jahrhunderts wohl bei 2000) galt es aber auch als Prestige-Frage, wie viel man in die Stadtsäckel einbringt - der Bürgerstolz lässt sich hier durchaus mit jenem der Stadtrepubliken im heutigen Italien vergleichen. So festigte der Status als Reichsstadt sicherlich die Loyalität zur eigenen Region, die Verteidigung des reichsstädtischen Gebiets mittels der Landhege war nur ein Ausdruck des wachsenden Rothenburger Selbstverständnisses. -
Das Franziskanerkloster in der Herrngasse
Wir schreiben das Jahr 1280. Die Mönche Otto und Günter machen sich auf den Weg nach Rothenburg ob der Tauber. Sie bleiben in ihrer Provinz Argentina und legen nur eine kurze Strecke innerhalb ihres Bettelbezirks zurück: Vom Franziskanerkloster in Hall (dem heutigen Schwäbisch Hall) geht es ostwärts nach Rothenburg. In der jungen Stadt findet sich an einer Jakobuskapelle neben einer Quelle und einer Linde ein herrlicher Ort in der heutigen Herrngasse. Warum nicht gleich hierbleiben, in dieser schnell wachsenden Handelsstadt ob der Tauber? Das fragen sich Otto und Günter und bitten wenig später um die Erlaubnis hier ihr eigenes Kloster zu gründen.
1281 bewilligen dies der Rat der Stadt und der Prinzipal der Ordensprovinz der Franziskaner. Ob die beiden wirklich Otto und Günter hießen, lässt sich nicht belegen. Der Chronist Michael Eisenhard notiert die Geschichte der Franziskanermönche erst im 16. Jahrhundert, vieles ist sicherlich fromme Legende. Belegt ist allerdings, dass der Bau der Klosteranlage 1282 beginnt. König Rudolf erlaubt zudem an der Stelle des künftigen Klosters erstmals einen Jahrmarkt in der Herrngasse, also einen großen Verkaufsmarkt mit Gütern für den täglichen Bedarf. Die Händler kommen an solchen Jahrmärken teils von entfernten Gebieten in die Stadt und bieten Handwerk, Werkzeug oder Bekleidung feil. Unterstützt werden die Franziskaner bei ihrem Vorhaben in Rothenburg vom lokalen Adel wie bspw. dem Schultheiß Hermann von Hornburg. Die Franziskanerkirche wird in der Folge zur wichtigsten Grabstätte der Patrizier- und Adelsfamilien Rothenburgs, deren Anwesen allesamt in der Herrngasse liegen. Die Adligen sind weniger bescheiden und verorten ihre Gräber im oder nahe am Chor, also: nahe beim Allerheiligsten. Und manche verschaffen sich selbst eine überdimensionale Bedeutung in Form einer lebensgroßen Statue: die Erinnerung an Peter Creglinger steht gar in Form eines Ritters an einer Säule.
1285 folgt schon die Erlaubnis zur Klostererweiterung: Die heutige Burggasse darf zu diesem Zwecke überbaut werden. Unter dem Refektorium entsteht so ein dunkler Gang – eine Art Tunnel. Im Volksmund wird daraus schnell „die Höll“ (auch möglich ist der sprachliche Bezug zur Höhle). Die „Hölle“ ist die Ankunft der Franziskaner für den Deutschen Orden, der soeben die Kirche St. Jakob als eigene Pfarrei übertragen bekommen hat. Ein weiteres Gotteshaus in unmittelbarer Nähe zur eigenen Wallfahrtskirche amüsiert den geistlichen Ritterorden überhaupt nicht. Der Konflikt wird 1290 beigelegt: Das Kloster darf bleiben. Beliebt sind die Mönche bei der Bevölkerung von Anbeginn, wirken sie doch stark nach außen und leben nicht so abgeschottet wie die Nonnen im Dominikanerinnenkloster. Dank der regelmäßigen Märkte und der umherziehenden Mönche ist das Kloster der Franziskaner keine völlig abgeschlossene Welt. Das Gelände des Klosters reicht vom Garten der einstigen Montessori-Schule an der Herrngasse bis hinab zur Mauer an der Burggasse. Von dort geht es bis zum Heringsbronnengässchen, welches zur Franziskanerkirche hinaufführt.
Die Franziskaner siedeln sich also mitten in Rothenburg an. 1309 ist der Bau des Kirchenchors abgeschlossen. Die Bescheidenheit der Franziskaner lässt sich übrigens schon von außen erkennen. Anders als bei St. Jakob weist das Ostchorfenster statt vier Bahnen nämlich nur drei auf. Königin Margarete von Brabant reist kurz nach ihrer Krönung in Aachen zur Einweihung nach Rothenburg. Formell besitzt der Orden das Gelände nicht. Schließlich predigen die Erben von Franz von Assisi die Besitzlosigkeit. Der Papst bekommt das Gelände von der Stadt zugesprochen und überlässt es den Franziskanern. Drei Verwalter (so genannte Pfleger) werden vom Rat der Stadt bestellt und kontrollieren die Finanzen. Der Bettelorden lebt zu ¼ von Almosen. Auch in Rothenburg wird den Mönchen ein gewisser Bezirk zugeordnet, wo diese Almosen erbettelt werden dürfen: Windsheim, Herrieden, Brettheim und Weikersheim – dieser Radius ist für das Kloster in Rothenburg von 1399 bis 1509 belegt. Der Rest der Einnahmen kommt größtenteils aus Stiftungen, die sich oft aus Geldabgaben der Landbevölkerung zusammensetzen. Diverse Ablässe finanzieren den Bau der Kirche.: 56 Ablässe lassen sich zwischen 1285 und 1309 belegen. Diese Briefe legen Tage oder Perioden fest, an denen sich die Gläubigen von gewissen Sünden freikaufen können.
Die Hauptaufgabe der Mönche ist die Seelsorge. Dazu gehört unter anderem die Predigt in der Franziskanerkirche. Die gotische Kirche selbst kommt damals ganz im Sinne des Ordensgründers Franz von Assisi in der Ausarbeitung recht bescheiden daher. An Details erkennt der Fachmann, dass der Baustil stark von der Ordensprovinz am Oberrhein mit dem Zentrum Straßburg und Oberschwaben beeinflusst ist. Kein Wunder, kommen viele der Mönche doch nicht zwingend aus der Umgebung Rothenburgs, sondern vielmehr aus dem Zentrum der Ordensprovinz – dem heutigen Baden oder Oberschwaben. Vor allem der Guardian in Rothenburg – der Klostervorsteher – stammt häufig aus der der Region am Oberrhein. Die Kontrolle über ihre Mönche wollen die Herren in Straßburg bei aller Besitzlosigkeit scheinbar nicht völlig aus der Hand geben.
Mit der bescheidenen Lebensweise und Besitzlosigkeit nimmt es im Laufe der Jahrhunderte so mancher Mönch in Rothenburg trotzdem nicht so genau: 1388 wird der Lesemeister des Klosters des Sittenverfalls bezichtigt und der Stadt verwiesen. Eine unrühmliche Episode, aber bei weitem keine Ausnahme. 15 bis 20 Mönche leben zu Hochzeiten im Kloster: Sie beten, predigen, betteln – und manchmal schaffen sie sogar hohe Kunst: Die einzelnen Tafeln der Rothenburger Passion wurden vom Mönch Martin Schwarz 1499 gemalt. Der Lettner aus der Franziskanerkirche, welcher die Priester in der Kirche von den Laien trennt, seine Einzelbilder sind heute im RothenburgMuseum ausgestellt. Er gilt als einer der letzten Lettner zum Ausgang des Mittelalters. Deren Funktion: Sie trennten beim Gottesdienst die Laien von den Priestern. Ihre Bilder machten die Erzählungen aus der Bibel auch für jene Gläubigen erfahrbar, die Latein nicht verstanden oder gar nicht lesen konnten. Die Schiebetür in der Mitte bleibt meist geschlossen, wenn der Mönch predigt.
Der Einfluss der Franziskaner in Rothenburg (und eigentlich im gesamten Heiligen-Römischen-Reich) endet schon vor der Reformationszeit. Bereits die Observanzbewegung innerhalb des Franziskanerordens kommt nicht wirklich im Rothenburger Kloster an. Aufgrund der Exzesse in vielen Ordensgebieten spaltet sich diese Bewegung innerhalb des Ordens ab und mahnt zur strikteren Einhaltung des Armutsideals in den Klöstern. Doch in Rothenburg setzt sich vornehmlich die lockere Auslegung des mönchischen Alltags durch. 1521 ist der blinde Franziskanermönch Johan Schmid somit eine Ausnahme als er in seinen Predigten die lutherischen Ideale befürwortet. In Rothenburg, welches früh dem Protestantismus folgt, verliert das Kloster zusehends an Rückhalt. Zudem geraten die Franziskaner in ganz Deutschland unter massiven Druck, senden keine neuen Mönche in die eher unwichtige Region. Nur noch drei Stellvertreter leben 1544 dort. Und einer der Mönchbrüder nimmt es mit der Auslegung des mönchischen Alltags sogar so locker, dass er der Stadt verwiesen wird: Mönch Andreas Martini wird nach einem Gelage inhaftiert und in der Folge. „wegen liderlichen Lebens und Ungehorsams gegenüber dem Rat“ aus der Stadt verwiesen. 1548 wird das Kloster aufgelöst, das Gelände übernimmt die Stadt.
In den folgenden Jahrhunderten verwenden die Rothenburger die Gebäude neben der Kirche für vielfältige Zwecke - nicht jede Verwendung tut der Bausubstanz gut. Eine unrühmliche Rolle das Kurfürstentum Bayern, das hier das lokale Salzamt in einem der Klostergebäude einrichtet. Die Lagerung von Salz führt zu massiven Schäden an dem Gebäude. Zuvor werden die Gebäude des Klosters als Lateinschule, als Magazin für Rüstungen und Waffen oder als Kornspeicher verwendet. Noch beklemmender geht es in den heute als Wohnraum genutzten Anlagen im Südwesten zu: Das Gebäude wird als Nachfolger des Markusturms zum innerstädtischen Gefängnis umfunktioniert.
Als Lehranstalt geht es für das Hauptgebäude hinter der Kirche im 20. Jahrhundert weiter. Dort zieht für lange Zeit das Goethe-Institut ein, an dem der spätere Papst Franziskus deutsch lernte. Nach dessen Ende in den 2000ern nutzt es bis zuletzt die Montessori-Schule Rothenburg-Neusitz. Aktuell steht das Gebäude weitgehend leer.
Die Franziskanerkirche sollte 1803 der katholischen Gemeinde Rothenburgs übergeben werden. Das Vorhaben scheitert aber aus unbekannten Gründen. Und so zählt die Franziskanerkirche seit 1803 zur Kirchengemeinde St. Jakob – hätten die Deutschordensritter das damals geahnt…
Wir bedanken und herzlich bei Dr. Florian Huggenberger (Stadtarchivar) und Dr. Helmuth Möhring (Verein Alt-Rothenburg) für die Informationen. Bei James Derheim bedanken wir uns für die Fotos!
-
Seifenfabrik AULA und die Tabakmanufaktur von Johann Leonard von Berg
Von Seifenträumen und Tabakhändlern – zwei unterschiedliche Unternehmensgeschichten aus Rothenburg ob der Tauber
Wann ist eine Fabrik eine Fabrik? Und wann bezeichnet man einen Betrieb eher als Manufaktur? Diese Frage lässt sich bei der Zeitreise ins 19. Jahrhundert in Rothenburg ob der Tauber recht gut beantworten: Einerseits stoßen wir hier zu Beginn des Jahrhunderts an der heutigen Adresse Alter Keller nahe der Hafengasse auf die Tabakmanufaktur von Johann Leonard von Berg und seinem Schwager Johann Michael Unger. Der aus einer in Rothenburg ansässigen Adelsfamilie gebürtige von Berg begann 1795 in der Ölmühle von Bettwar im Taubertal mit der Herstellung von Rauchwaren. Gegen die Widerstände der Stadträte und vieler Bürger, welche die Lärmbelästigung und Geruchsbelästigung durch eine Manufaktur abschreckte, zog es ihn mit seinem Unternehmen in die Stadt. Der Grund: die verkehrstechnisch damals bessere Lage und die erhöhten Absatzmöglichkeiten im Zentrum Rothenburgs. Nachdem die Bestrebungen misslangen, das Gasthaus Greifen in der Schmiedgasse und das Fleischhaus neben dem Marktplatzbrunnen zu erwerben, gelang es von Berg und Unger, das Haus Alter Keller 5 zu kaufen. Nun wurde der Tabak in der Altstadt per Hand produziert.
Andererseits begegnet uns beim Blick ins Archiv und das Hotelprojekt Alter Ego vor dem Würzburger Tor der Name einer echten Rothenburger Unternehmerfamilie vom Ende des 19. Jahrhunderts, die mit der AULA Seifenfabrik den Sprung aus der Georgengasse vor die Tore der Altstadt wagte: Anna Schmieg und ihr Mann Heinrich bauten das Unternehmen weit nach der ersten Hochphase der Industrialisierung in Franken zu einem deutschlandweit tätigen Unternehmen auf. 1912 gründeten sie ihre Fabrik. Zum Vergleich: Der Siemens-Vorgänger Schuckert & Co. errichtete seine zweite Fabrik in der Landgrabenstraße im nahen Nürnberg 1890, das erste Fabrikgebäude wurde von der Firma dort 1879 errichtet. Der Nachteil Rothenburgs: In Zeiten der Dampfmaschinen brauchte es sehr viel Wasser – und das fand sich trotz der Reservoirs im Taubertal und unter der Frankenhöhe hier nie ausreichend.
Da gab es die Tabakmanufaktur des umtriebigen Johann von Berg – er handelte unter anderem auch mit Getreide – schon lang nicht mehr. Die verblieb bis zu ihrem Firmenende in der Altstadt und somit der handwerklichen Verarbeitung des in Franken damals nicht untypischen Rohstoffs verhaftet – eines der Kernanbaugebiete lag im Nürnberger Land, keine 60 Kilometer östlich von Rothenburg ob der Tauber. Diese Mischung aus kleiner Produktion und regional begrenzter Beschaffung wurde der Firma nach 1802 und der Eingliederung Rothenburgs in das bayerische Wirtschaftsgebiet zum Verhängnis: Die Konkurrenz aus Fürth und Nürnberg arbeitete in jener Zeit mit immer größeren Mengen und erweiterten Anbaugebieten, die Beschaffung wurde für den Rothenburger Betrieb so immer schwieriger. Nicht nur in Zigaretten, auch im beliebten Schnupftabak wurde dieser an den Konsumenten gebracht. Eigene Anbauversuche in den Böden um Rothenburg brachten kaum nennenswerte Erträge, immerhin „sieben Zentner Tabak” (also 350 Kilogramm) sind 1812 für das Stadtgebiet archivarisch belegt. Zur Einschätzung: Heutzutage befinden sich in einer Zigarette circa 0,7 Gramm Tabak – und bereits 1639 wurden 750 Tonnen Tabak aus den USA nach Europa verschifft.
Einen anderen unternehmerischen Weg ging die Familie Schmieg: Heinrich nutzte das jahrhundertealte Fachwissen der Seifensieder in Rothenburg ob der Tauber und machte aus dem Handwerksbetrieb aus der Georgengasse einen respektablen Betrieb mit 80 Mitarbeitern, maschineller Serienproduktion (genau das unterscheidet die Fabrik von der Manufaktur) und eigenem Bahnanschluss. Gegründet hatte die Seifensiederei der Handwerker Georg Klenk, dessen Tochter August Schmieg heiratete. Die Seifenindustrie galt im Kaiserreich als prosperierender Wirtschaftszweig: 1895 produzierte man noch 180 000 Tonnen Seife pro Jahr im Deutschen Reich, bis 1913 war diese Menge auf 550 000 Tonnen gestiegen. Gute Zeiten, auch für die AULA und die Familie Schmieg – die dritte Generation wagte 1912 den großen Wurf der Fabrik nahe des Rothenburger Bahnhofs – heute steht hier das Gebäude der BayWa.
Rauchende Schlote sind auf den Motiven aus dieser Zeit zu sehen. Für Rothenburg ein relativ ungewohntes Bild: Neben der AULA gab es damals keine nennenswerten Industriebetriebe im beschaulichen, verarmten Mittelalterstädtchen. Und die erfolgreiche Zeit währte auch nur recht kurz. Denn der Erste Weltkrieg mit den damit einhergehenden Beschaffungsproblemen bei Rohstoffen und der Zwangsbewirtschaftung unterbrach den Aufstieg. Trotzdem zog die Familie Schmieg nach dem Krieg in die 1905 errichtete Unternehmervilla in der Würzburger Straße (heute das Hotel Alter Ego) und verkaufte das Anwesen in der Georgengasse an die Familie Reingruber, die passenderweise mit einem Seifenhandel startete.
Als 1920 die Zwangsbewirtschaftung der Seifenindustrie aufgehoben wird, findet die Familie Schmieg in Nürnberg den neuen Geschäftspartner Friedrich Scheib für die deutschlandweit arg ausgedünnte Seifenproduktion: Die Handelsmarke AULA bleibt gleich, das neue Unternehmen heißt aber „Rothenburger Seifen- und Ölfabriken Schmieg & Scheib GmbH”. In der Wirtschaftskrise während der Weimarer Republik überlebte diese Gesellschaft gerade zehn Jahre, die Schmiegs suchten sich für die AULA GmbH neue Geschäftspartner, wieder aus Nürnberg: Hans Möschel und Lucian Goll beteiligten sich, man stellte sich mit den drei Sparten Seifen, Parfümerie und chemische Produkte wie Waschmittel auch breit auf. Und auch den Zweiten Weltkrieg überlebte das Firmengelände trotz der Bombardierung Rothenburgs 1945 weitgehend unbeschadet.
Allerdings galt der einzige Nachkomme der Schmiegs seit den Kämpfen um Stalingrad als vermisst, die private Villa wird zerstört. Trotz widriger Umstände der Nachkriegszeit hatte die Aula zu Zeiten des Wiederaufbaus und der jungen Bundesrepublik eine letzte Hochphase: Aula-Seife, -Shampoo, -Zahnpasta und die Waschmittelmarke Orisin gab es in Läden in ganz Deutschland, 1969 verkaufte man 114 Produkte. Allein: Wie einst bei den lokalen Tabakherstellern, so konzentrierte sich die Seife- und Waschmittelindustrie immer mehr auf große Betriebe wie Henkel aus Düsseldorf, zehn Betriebe machten schließlich 1960 80% der Gesamtproduktion aus. Feinseifenmarken wie Fa, Rexona oder Palmolive gab es schon damals, wir kennen sie noch heute. Die Kernseifen aus der AULA-Produktion wurden immer weniger nachgefragt, der schleichende Niedergang konnte unternehmerisch nicht aufgefangen werden: Im Februar 1975 wurde die AULA Seifenfabrik liquidiert. Wenig später wird das Gebäude abgerissen, schon Anfang der 80er ist nichts mehr von der Fabrik zu sehen. Und so gleicht das Schicksal der Seifenfabrik jenem der Tabakmanufaktur: Die größere Konkurrenz bereitete das Ende.
Übrigens: Die Friedrich Scheib Oel- + Fett-Fabrik e.K. gibt es in Nürnberg bis heute. Und die Familie Reingruber betreibt das Geschäft in der Georgengasse immer noch – als Drogerie.
Die Fotos stammen alle von James Derheim, die Inhalte hat für uns Dr. Florian Huggenberger aus dem Stadtarchiv zusammengetragen. Wir bedanken uns herzlich!
-
Die Staufer in Rothenburg ob der Tauber
Eine Reise in den Burggarten von Rothenburg
Wer schmückt sich denn nicht gern mit prominenten Namen? Staufer-Stele, Barbarossa-Brücke und weitere Hinweise auf das Adels- und Herrschergeschlecht finden sich in Rothenburg ob der Tauber. Einen kleinen Schönheitsfehler hat die Sache hinsichtlich der Brücke zwischen Detwang und der Bronnenmühle aber leider: anders als Brückenname suggeriert, war der berühmte rotbärtige Kaiser des Heiligen Römischen Reichs nie in Rothenburg vor Ort – zumindest ist keine offizielle Visite Barbarossas in Rothenburg belegt. Bei seiner Bedeutung ist es kaum wahrscheinlich, dass dies von den Chronisten unterschlagen wurde. Zu verdanken hat die Stadt ihm und seinem adligen Hause der Staufer in jedem Falle einiges.
Die Staufer kommen 1142 in Rothenburg machtpolitisch an: Konrad III. weiß genau, was er tut, als er Gebiete um den Ort Detwang vom Stift Neumünster in Würzburg eintauscht. Schließlich ist sein Sohn Heinrich hier vor Ort bereits Vogt von Detwang und weiß um die Vorzüge der agrarisch fruchtbaren und an einer bedeutenden Straße gelegenen, strategisch wichtigen Grenzregion. Die Würzburger bekommen ein für sie günstiger gelegenes Gut in Hopferstadt bei Ochsenfurt. Bis 1150 stellen die neuen Machthaber die Burg fertig, die sich auf einem Hügelsporn über der Tauber gen Südwesten hin erhebt. Heutzutage befindet sich hier der Burggarten (daher erschließt sich der Name). Die Steine kommen aus den Steinbrüchen zwischen Klingentor und Strafturm, man baut mit Muschelkalk. Das sichtbarste Überbleibsel der Burg ist der einstige Palas, die heutige Blasiuskapelle gleich am Eingang des Burggarten. Auch die 2010 im Burggarten errichtete Stauferstele mit Informationen zu den Herrschern ist hier also genau passend verortet. Neben den Grundmauern der Burg ist auch der einstige Eingang noch klar sichtbar. Dieser bildet heute das Untergeschoss des orange gefärbten Gärtnerhäuschens im Burggarten. Wer den Burggarten Richtung Weinberg verlässt und geradeaus Richtung Westen blickt, sieht das mit Rustika-Quadern halbrund gemauerte einstige Burgtor gleich hinter einem kleinen Garten, darüber das orangene Gebäude. Hier wurden sogar Räderspuren gefunden, die sich über die Jahrhunderte durch die Fuhrwerke in den Boden eingegraben hatten.
Rund acht Jahre Bauzeit dauert es also nur, bis Konrad III. hier seine Burg etabliert. Bis zu 80 Personen können auf solch einer Burg leben. Konrads Sohn Friedrich wächst in Rothenburg auf – neben Verwandten begleiten ihn Lehrer, Erzieher und Fechttrainer sowie verbündete Adlige und Dienstleute. So wird Rothenburg zum Residenzort, im Umfeld wird ganz gezielt die Entwicklung der wenigen Gehöfte hin zur Stadt befördert. Sukzessive entsteht auch die erste Mauer der Stadt, diese besteht zunächst nicht aus Stein sondern aus Holzpalisaden. Nahe der heutigen Burggasse wurde von Archäologen ein solcher Holzstumpf gefunden, er datiert aus dem Jahr 1280. Rothenburg gehört in jener Zeit direkt der Familie der Staufer, nicht dem Königreich. Und der Rothenburger Friedrich wird beinahe zum König, nur das Alter – er ist erst acht Jahre alt als Konrad III. stirbt – verhindert, dass er auf den Thron des Heiligen Römischen Reiches steigt. An seiner Statt erhält der Cousin Friedrich Barbarossa 1152 die Krone des römisch-deutschen Königs, Friedrich I. heißt er nun. Ab 1155 darf er sich Kaiser nennen. Und der Rothenburger Friedrich? Erhält als Kompensation für die entgangenen Königswürden den einflussreichen Titel als „Herzog von Schwaben“. Er reist in seinem Teilreich, das neben Rothenburg auch Stuttgart, Württemberg und große Teiles des Elsass sowie des heutigen Bayerischen Schwabens bei Augsburg umfasst.
Der ganz große Wurf bleibt Rothenburg machtpolitisch damit verwehrt, aber eine Aufwertung ist erkennbar. So prosperiert die Stadt in den Folgejahrzehnten auch dank des offenen Umgangs mit der jüdischen Bevölkerung in der Stadt. Wahrscheinlich zehn Prozent der Rothenburger – also bis zu 500 Menschen – gehören der Gemeinde um Rabbi Meir Ben Baruch später zu deren Hochzeiten Mitte des 13. Jahrhunderts an. Plausibel erscheint die Theorie, dass die Gemeinde gar gezielt angesiedelt wurde. In vielen rheinischen Gebieten wurden die Juden damals von den Machthabern vertrieben und suchten als Flüchtlinge eine neue Heimat.
Da hat Rothenburg bereits die zweite Chance verpasst, im Machtgefüge der Staufer nach oben zu rutschen. Barbarossa hatte die Stadt nach Friedrichs Tod an einen seiner nachgeborenen Söhne – Konrad – gegeben, den Titel Herzog von Schwaben beanspruchte er neben seiner Königswürde zunächst lieber wieder selbst. Da Konrad aber verheiratet werden sollte, bekam er als kosmetischen Eingriff einen neu erdachten Adelstitel: „von Rothenburg“ durfte er sich zukünftig nennen und war unter diesem Label der kastilischen Königstochter Berenguela versprochen: 1188 heiratete er die Ibererin tatsächlich und so stand Konrad von Rothenburg kurz vor dem iberischen Thron. Doch just zu jener Zeit erwies sich Barbarossas Niederlage gegen den Papst als wenig förderlich für die Attraktivität des Bundes, drei Jahre später schied der Erzbischof von Toledo die Ehe zwischen Konrad und Berenguela schon wieder – und damit schied auch die zweite Möglichkeit dahin, dass Rothenburg mehr in den machtpolitischen Fokus der Staufer geriet.So blieb Rothenburg bis 1274 im Reich der Staufer als Residenzort und ging vom direkten Familienbesitz immer mehr in den Besitz des Königreichs über. Der Grund: ausbleibender Nachwuchs in den Reihen der Staufer. Wo keine Kinder, da bleiben Residenzen auch mal unbesetzt. Über die Jahrhunderte hinweg lassen sich dreißig Besuche von deutschen Königen belegen. Was Barbarossa nie schaffte, leisteten also seine Nachfahren und Nachfolger. Und eigentlich hätten die Habsburger eine Statue auf der Brücke verdient: denn 1274 verleiht er König Rudolf von Habsburg Rothenburg die Reichsfreiheit, das heißt: Rothenburg ist als Reichsstadt nur ihm unterstellt und kann von den Bürgern selbst verwaltet werden. Die lokalen Adelsgeschlechter der von Nordenbergs und der von Hohenlohe blicken betrübt auf diese Entscheidung, hatten sie nach dem Ende der Stauferherrschaft doch ihren Einfluss immer weiter ausgebaut. Die von Nordenbergs etwa hatten mit der Verlagerung des von ihnen gestifteten Dominikanerinnenkonvents (das heutige RothenburgMuseum) in das Herz der Stadt ihren Führungsanspruch klar dokumentiert – nur ein kleiner Baustein in einem vielgestaltigen Machtspiel um Rothenburg. So erweist sich die Entscheidung des Habsburgers als geschickter Schachzug, um sich ambitioniert Lokalfürsten vom Leibe zu halten. Und die Staufer? Die finden sich ganz zurückhaltend auch am Turm des Rathauses. Eine der Figuren stellt nämlich den verhinderten deutschen König Friedrich dar, im Zentrum der Stadt wird also ein echter Rothenburger Staufer gewürdigt.
Der Text basiert wie immer aus zwei Interviews mit Dr. Florian Huggenberger (Stadtarchiv) und Dr. Helmuth Möhring (Verein Alt-Rothenburg). Wir bedanken uns recht herzlich.
Zudem bedanken wir uns bei James Derheim, von ihm stammen viele der exklusiven Fotografien, die unsere Beiträge bereichern. -
Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber – St. Wolfgang in Rothenburg ob der Tauber
Die Familie Otneit (später Otnat) legt im 15. Jahrhundert einen steilen Aufstieg in der Reichsstadt hin, die sich damals in ihrer Blütezeit befand. Quelle des Reichtums: der Handel mit der Schafwolle, der in Rothenburg generell floriert in jener Phase. Und der gar in einer eigenen Kirche der Schäferbruderschaft im Nordwesten der Stadt mündet, gegründet von Michael Otnat (geboren 1425). Otnat hat es von der Neugasse in die zentralere Rödergasse geschafft, den Aufstieg seiner Familie aus dem nahen Gailnau nach Rothenburg somit fortgesetzt. Gewidmet wird die Wallfahrtskirche St. Wolfgang, dem Schutzheiligen aller Hirten – und somit auch der Schäfer. Neben Schafhirten treten der Gemeinschaft aber eben auch wohlhabende Händler bei. Was bezweckt Otnat mit der Gründung der Bruderschaft im Jahr 1476? Warum all der Aufwand für eine Kirche und eine Gemeinschaft? Nun, der Glaube bestimmt das Leben der Menschen in viel größerem Maße als heute. Und das Leben und Schicksal nach dem Tod steht im Zentrum der Ängste und Hoffnungen der Menschen. Da kann es nicht schaden, wenn man seinen Glauben in den einen Gott in einem Gebäude manifestiert. Und wenn einen die Gemeinschaft aktiv ins Gebet einbezieht und sich auch nach dem Tode um die Seele des Gläubigen sorgt.
Das lassen sich auch die Mitglieder der Schäferbruderschaft einiges kosten: Neben den jährlichen Abgaben der Mitglieder speist sich das Vermögen der Kirche aus dem Ertrag der Bruderschaftsherde und den Einnahmen der Pilger. Denn St. Wolfgang, das seit seiner Fertigstellung 1493 nie zerstört wurde, gilt als Wallfahrtsort – schon vor dem Bau der Kirche munkelte man über wunderliche Geschehnisse, die sich nordwestlich der Stadtmauer zutrugen. Pilgerten die Frommen zunächst auf die offene Stelle vor dem Klingentor Rothenburgs, so wollten dies das nahe Bistum Würzburg und auch die Stadt Rothenburg bald verstetigen. Da trifft sich das Bauvorhaben des Wollhändlers Otnat hervorragend. Weil die Kirche an der heiligen Stelle somit viel zu nahe an der Stadtmauer steht und dem Feind im Falle eines Angriffs Schutz bietet, wird sie gleich in die Verteidigung der Stadt integriert – samt Kasematten und Wehrgängen. Im Zusammenspiel mit dem Klingentor bildet sie eine wehrhafte Bastion. Zumal historische Darstellungen aus dem Stadtarchiv nahelegen, dass die Mauer mit einem Wehrturm weitergeführt wurde, wo sich heute ein leicht erhöht gelegenes Wohnanwesen befindet.
Auf der Stadt zugewandten Seite verrät die Inschrift neben den Figuren des Jesus und des Heiligen Wolfgangs dem Reisenden direkt den Sinn und Zweck der Kirche: welcher Ablass in der Kirche erteilt wird, ist auf dem Text an der Außenseite bereits klar ersichtlich. Das ist nicht unwichtig, entsteht doch fast zur gleichen Epoche eine weitere Pilgerkirche, die Marienkirche an der Tauber (Kobolzeller Kirche). So spektakulär der Bau der gotischen Kirche St. Wolfgang gelingt, einen eigenen Priester kann sich die Schäferbruderschaft nie leisten. Ob’s an der reichhaltigen Konkurrenz im Ringen um das Pilgervermögen liegt? Einerlei: Die Messe wird auf jeden Fall stets von einem Geistlichen der Stadtkirche St. Jakob gelesen.
Die karitative Versicherung durch die Bruderschaft hat bis ins frühe 19. Jahrhundert Bestand, dabei geht es auch um sehr konkrete Hilfen wie der Witwenversorgung. Das Erbe Otnats wird auch dann weiter fortgeführt, als die Stadt protestantisch dominiert wird. Eine Besonderheit Rothenburgs, denn eigentlich halten sich die Bruderschaften nur in katholischen Gegenden. In Rothenburg verliert sie freilich mehr und mehr an Bedeutung, 1802 wird die letzte Predigt für die Schäfereibruderschaft in St. Wolfgang gelesen. Mit dem Übertritt Rothenburgs zum Königreich Bayern verschwindet ein wichtiger Teil der rothenburgischen Schäfertradition gar komplett – denn neben vielen Gebäuden muss die finanziell klamme Stadt auch Schafherden verkaufen. Die edlen und weit über die Stadt hinaus bekannten Tiere werden vom bayerischen Königshaus konfisziert.
Als Wehrkirche oder Kirchenburg darf sich St. Wolfgang nicht bezeichnen, stehen dies doch im ländlichen Raum als Fluchtorte quasi allein. Und einzigartig ist die Konstellation mit der Integration der Kirche in die Stadtverteidigung auch nicht: St. Blasius in Kaufbeuren, die Annenkapelle in Kronach und St. Johann Baptist in Kronenburg sind weitere Beispiele. Was hingegen einzigartig ist: die Kirche und ihr Interieur sind quasi original erhalten, die drei Altäre stehen „in situ” – also weiter an ihrem ursprünglich vorgesehenen Platz in der Kirche. An den Altären finden sich Spuren tiefer Frömmigkeit, die man anderswo kaum noch findet: Wetzspuren an der Altarmensa des Wendelinaltars sowie eingeschlagene Nischen in den Altären, um dort bestimmte Gegenstände abzustellen, die man vermutlich dinglich mit den Heiligen verbinden oder segnen möchte. Ebenso findet sich auch ein Hufeisen in einer Fensternische neben dem Altar – Hinweis auf den Wunsch des Schutzes und der Behütung durch Heilige für Pferde als Zugtiere. Andernorts gab es gar Wolfgangsritte, in großem Ausmaß an der Wolfgangskirche Ochsenfurt.
Was von der Schäfertradition bleibt, ist bis heute der Historische Schäfertanz. Der Verein begeistert mit seinen eindrucksvollen Tanzformationen auf dem Marktplatz, die um 1910 erdacht wurden. Zu diesem Zeitpunkt gründete sich der Verein Historischer Schäfertanz, in dem nur echte Rothenburger Familien einen Platz fanden. Die Formationen, die bis heute aufgeführt werden, haben keinen nachweisbaren historischen Bezug zur Schäferbruderschaft Otnats. Die hatte sich freilich in ihrer Hochzeit in Rothenburg das Recht erworben, einen öffentlichen Tanz auf dem Marktplatz aufführen zu dürfen – ein echtes Privileg in früheren Zeiten, als der Tanz als laster- und frevelhaft galt. Dieses Recht greift der Historische Schäfertanz also auf, vermengt in seiner Gründung aber auch eine – zunächst antijudaische Legende – aus dem 19. Jahrhundert in seiner Gründungsgeschichte: die Schäfer, so heißt es darin, hätten den Schäfertag und -tanz einst ausrichten dürfen, weil sie die Bevölkerung Rothenburgs vor vergifteten Brunnen warnten. Vom Zusatz, dass es Juden waren, die angeblich das Wasser verunreinigten, ist im Gründungsmythos der Vereins nichts mehr zu lesen. Der Verein gilt zu seiner Hochzeit bis weit in die 1970er und 1980er hinein als elitärer Zirkel in Rothenburg – so mancher findet hier seinen Partner fürs Leben. Heutzutage tritt der Verein rund um die Pfingstfestspiele und an den Reichsstadt-Festtagen auf und hält die Wolfgangskirche als Vereinsmuseum in Ehren und für die Öffentlichkeit zugänglich.
Vielen Dank an Dr. Florian Huggenberger (Stadtarchiv) und Dr. Helmuth Möhring für die fachlichen Details. Und an James Derheim für die Detailfotos.
-
Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber – der Kaisersaal im Rathaus von Rothenburg ob der Tauber
Make Rothenburg great – der Kaisersaal als Symbol reichsstädtischen Machtstrebens
Das Rathaus von Rothenburg ob der Tauber prägt den Marktplatz: So eindrucksvoll und so markant es mit seiner Renaissance-Fassade unübersehbar dessen Westseite einnimmt, so geheimnisvoll stellt es sich im Detail dar. Im Zentrum stand der Ort auch machtpolitisch schon immer. Allen voran der Kaisersaal, der eigentlich gar nicht immer als solcher bezeichnet wurde…
Rothenburg ist eine Oligarchie. Wir schreiben das Jahr 1631 und der Innere Rat bildet sich wie seit Jahrzehnten aus dem immer gleichen Kreise der vermögenden Familien Rothenburgs, die sich gegenseitig kritisch beäugen. Wer hat mehr Einfluss? Wer stellt den Bürgermeister? Ihre Söhne schicken die Bezolds, von Staudts, Walthers und andere zielgerichtet zum Studium des Rechtswesens. Verwaltungsgrundlagen sollen diese dort erwerben, um die Stadt im Sinne der Rothenburger Bürgerschaft zu regieren. Zum Studium zieht es die protestantischen Rothenburger nicht ins nahe, aber katholische Würzburg. Die Lutherstadt Wittenberg im heutigen Sachsen-Anhalt ist ein typisches Ziel für die kommenden Ratsherren aus Rothenburg.
Der Innere Rat tagt im Rathaus und bespricht dort im normalen Ratssaal die Alltagsgeschäfte. Nur zur Ratswahl, für Sondersitzungen in Krisenfällen und zur Vereidigung neuer Bürger der Stadt geht es in den eindrucksvollen Großen Ratssaal, den wir heute als Kaisersaal kennen. Im Gerichtsbereich im Südflügel steht noch heute der Stuhl des Richters. An Gerichtstagen wird in Rothenburg damals wechselnd Stadt-, Land- und Bauerngericht gehalten. Noch heute ist der Bereich im Saal durch die verzierte eingezogene Gerichtsschranke aus Stein klar vom Rest des Saals abgegrenzt. Das eindrucksvolle Relief zum Jüngsten Gericht soll zeigen, dass das Relief nicht als endzeitliche Vision gedacht war, sondern als ein Appell an die Regierenden, ihre Macht als gerechte Richter auszuüben im Sinne von Psalm 2,10: „Et nunc reges intellegite, erudimini qui iudicatis terram.” Das lässt sich folgendermaßen übersetzen: „Und nun, ihr Könige, seht ein (seid verständig), (ihr), die ihr die Erde regiert, werdet gelehrt.” Will heißen: „Macht Euch schlau, bevor Ihr urteilt.” Kein schlechter Rat, noch heute.
Der große Ratssaal wird erstmals 1881 – also sehr spät – als Kaisersaal bezeichnet. Zur ersten Aufführung des Festspiels ist es nicht mehr weit hin und die Besucher aus aller Welt dürsten auch jetzt schon nach schmissigen Geschichten. Ein völliger Etikettenschwindel ist der Name Kaisersaal freilich nicht. Immer wieder haben Könige und Kaiser Rothenburg besucht. Einige wurden sogar im Rathaus untergebracht. Möglich ist zum Beispiel, dass Kaiser Friedrich III. des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hier 1474 den Dänenkönig Christian I. bei seinem Besuch in Rothenburg hineinführt. Als Empfangssaal und repräsentativer Raum spielt der Große Ratssaal eine zentrale Rolle. Immer dann, wenn der Rat Rothenburgs gezielt Öffentlichkeit herstellen will, wird er herangezogen – der Saal als Symbol der reichsstädtischen Macht. So ist er in seinen Dimensionen durchaus vergleichbar mit dem Ratssaal in Regensburg, wo freilich die Bedeutung dank des dort stattfindenden Ewigen Reichstages eine weitaus höhere ist. Doch die Infrastruktur für eine solche politische Großveranstaltung hielt man in Rothenburg mit dem Kaisersaal auch vor.
Und das ist natürlich kein Zufall: Heinrich Toppler hieß der einstige Rothenburger Bürgermeister im späten 14. Jahrhundert, der Rothenburg nach vorn bringen wollte. Unter seiner Ägide wird nicht nur der Bau der eindrucksvollen Jakobskirche vorangetrieben. Mit dem Kaisersaal schafft er ein zweites architektonisches Zeichen des neuen Rothenburger Wohlstands und will höher hinaus. Auch ein dritter Stadtmauerring (genauer: eine vorgelagerte Wallanlage) wird von ihm angedacht, der nördlich der Stadt unter anderem am heutigen Philosophenweg und an der Kreuzung Würzburger Straße entlanglaufen soll. Die Stadt soll wachsen, ihr Einfluss soll steigen – so Topplers Wille. Der Kaisersaal ist hierbei ein bedeutsamer, repräsentativer Baustein.
Die Symbolik des Saals und Rathauses als Gerichtsort ergibt sich auch durch den Ort, an dem das Gebäude in Rothenburg steht. Zuvor repräsentierte das erste Rathaus den bürgerlichen Rat von Rothenburg an der Stelle des heutigen Fleisch- und Tanzhauses. Dieses erste Rathaus wurde Ende des 13. Jahrhunderts errichtet und befand sich gegenüber vom Haus des Schultheißen. Im Namen des Königs sprach der vor Ort Recht. Auch hier begegnet uns eine bekannte Familie aus dem Umfeld der Rothenburger Landhege: Lupold hieß im Jahre 1237 einer der königlichen Statthalter. Er wurde bis 1240 Reichsküchenmeister und nannte sich dann nach seiner Burg Lupold von Nordenberg. Er zeichnet verantwortlich für die Gründung des Dominikanerinnenklosters im benachbarten Neusitz, das er später nach Rothenburg verlegt (das heutige RothenburgMuseum). Als Rothenburg Reichsstadt geworden war, versuchte der Rat, diesen Einfluss von außen auf die Stadt loszuwerden. Das gelang durch den Erwerb des Einsetzungsrechts für den Schultheißen ab 1352. Jetzt konnte der Rat selbst bestimmen, wer den Posten bekam. Begünstigt wurde die Entwicklung durch den Rückbau der kaiserlichen Stauferburg (im heutigen Burggarten), dem Schultheiß fehlte so ein machtpolitisches Instrument vor Ort. Um 1360 begann auf der Stelle des Schultheißen-Hauses der Bau des heutigen Rathaus-Westflügels.
Die älteste Darstellung des Marktplatzes findet sich auf dem Herlin-Altar in der Stadtkirche St. Jakob. Neben dem Markttreiben der Händler in den Arkaden des Rathauses fällt dem Betrachter auch auf, dass die beiden Rathaus-Flügel damals symmetrisch im gotischen Stil angeordnet waren. 1501 brennt der Ostflügel ab, der Brand beschädigt auch große Teile des Westflügels und den Großen Ratssaal. Der wurde zuvor noch mit Säulen gestützt und bekommt dank des Nürnberger Handwerkers Jörg Stadelmann eine freitragende Deckenkonstruktion, die ihn bis heute so besonders macht. Statisch gesehen ist dies eine Meisterleistung: Die Balken der Spunddecke wurden passgenau ineinandergesteckt und befestigt, da es solch lange Stämme für den Bau der Decke gar nicht gab. Der Kaisersaal misst imposante 38,31 Meter in der Länge.
Eine besondere Rolle spielt der Kaisersaal zu Pfingsten, wenn das Historische Festspiel „Der Meistertrunk” dort aufgeführt wird. Seit der Uraufführung 1881 hat das Festspiel im Rathaus seinen festen Platz, auch die Kleiderkammer mit den Gewandungen befindet sich gleich neben dem Saal. Die Bühne an seinem Nordende nimmt circa ¼ des Saals ein, einst war die Empfangshalle komplett flach angelegt. Der Wirkung des Kaisersaal als Symbol Rothenburger Machtstrebens nimmt das die Wirkung aber nicht.
Für die Informationen bedanken wir uns herzlich bei Dr. Florian Huggenberg, Stadtarchivar Rothenburgs, und Dr. Helmuth Möhring, dem früheren Leiter des RothenburgMuseums.
Für die Detailaufnahmen bedanken wir uns bei James Derheim!
-
Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber – das Büttelhaus am Markusturm in Rothenburg ob der Tauber
Einen echten Houdini hatten die Rothenburger Mitte des 18. Jahrhunderts zu Gast – Franz Antoni Stahl aus dem Nördlinger Ries war ein ganz übler Geselle und ein richtiges Schlitzohr. Gleich zweimal entkam der listige Dieb aus dem Gefängnis für Schwerverbrecher in Rothenburg ob der Tauber, dem Markusturm und dem Büttelhaus. In der Nacht schleicht er gleich zweimal aus der Stadt, zuvor seilte er sich mit einem Strang aus der Füllung seines Strohsacks aus der Zelle halsbrecherisch elf Meter in die Tiefe ab. Dumm da standen in der Folge die Büttel, die Gerichtsdiener der Stadt. Jenen entkam Franz Antoni Stahl quasi vor der Nase. Denn die Büttel bewachten nicht nur die Verbrecher in den Zellen, sie lebten auch selbst im Büttelhaus. Wenn die Wärter verheiratet waren, so leisteten auch ihre Frauen den Eid als Büttel ab, der sie dazu verpflichtete auf die Gefangenen aufzupassen. Der Beruf war in etwa so angesehen wie jener des Henkers. In Rothenburg ob der Tauber gab es neben den Zellen am Markusturm und neben dem Rathaus noch drei weitere Gefängnistürme in der Stadt: Für weniger schlimme Verbrechen landete man im Strafturm oder im Weibsturm (an der heutigen Röderschütt, vorwiegend für Frauen). Wer im Faulturm landete, war quasi lebenslang verurteilt und faulte sprichwörtlich vor sich hin. Im Turm fanden Archäologen später gar Skelette der Insassen. Eigene Zellen hatten die Ritter vom Deutschen Orden im Klingenviertel.
Allgemein war der Strafvollzug im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht wie heute auf Resozialisierung ausgelegt, die Strafe und die Abschreckung standen im Vordergrund. Der Markusturm und das Büttelhaus dienten einst als Untersuchungsgefängnis für Verdächtige und als Kerker für Schwerverbrecher. Noch heute lässt sich im Keller erahnen, dass allein das Eingesperrtsein in den kalten, dunklen und mit Ungeziefern verseuchten Kerkern die Insassen psychisch schwer belastete. Wer in Ermangelung eines Indizienprozesses trotzdem nicht gestand, der wurde gefoltert: das lief in Rothenburg ob der Tauber meist in Form von Schlägen oder durch Streckinstrumenten ab und wurde von den Bütteln durchgeführt. Eine weitere Aufgabe der städtischen Wächter: sie brachten die Beschuldigten vor Gericht ins nahe Rathaus. Dann waren die Büttel in ihrer rot-weißen Uniform offiziell gekleidet. Oft gab es Beschwerden der Bürger: Die Büttel würden reiche Verbrecher besser behandeln als die armen Handwerker, die für Nichtigkeiten richtig leiden mussten.
Auch die Büttel selbst schlugen so manches mal über die Stränge: Mit Bastian Gackstatt hatte die Stadt im Jahre 1560 gar den Bock zum Gärtner gemacht – oder besser: den Säufer zum Büttel. Denn Gackstatt blieb nicht wie vorgesehen stets auf seinem Posten. Ihn zog es in die Wirtshäuser der Stadt, wo er fröhlich zechte. Einen Houdini hatte er glücklicherweise nicht als Gefangenen und so ist unter seiner Ägide keine Flucht belegt. Weil er aber auch den Kriminellen in den Kerkern fröhlich einschenkte und anstieß, wurde es den Rothenburger aber doch zu bunt. Uns so fand sich Bastian Gackstatt bald auf der anderen Seite der Gitterstäbe als Insasse wieder. Nur der Intervention und Verbürgung seiner Frau verdankte er es, dass er „nur” aus der Stadt verbannt wurde und nicht schlimmeren Strafen entgegensah.
Schlimmere Strafen erwarteten jene prominenten Insassen im Büttelhaus und im Markusturm, die im Jahre 1525 aus politischen Gründen inhaftiert waren: Im Zuge des Bauernkrieges landete der religiöse Eiferer Teuschlein mit seinen Anhängern im Gefängnis. Der antijüdische Agitator Teuschlein hatte Jahre zuvor bereits die Pogromstimmung in Rothenburg angeheizt und schlug sich auf die Seiten der Reformation sowie der aufständischen Bauern. Rothenburg als Widerstandnest war so schnell das Ziel des siegreichen Heeres vom Schwäbischen Bund, das kampflos in die Stadt einzog und 21 Agitatoren festsetzte. Das endete für alle mit der Todesstrafe. Das gleich Schicksal ereilte übrigens ein paar Jahrhunderte ebenso dem Houdini aus dem Ries, wenn auch nicht in Rothenburg. Nach seiner zweiten Flucht wurde er später nahe Ulm aufgegriffen und landete am Galgen. Das Büttelhaus ist heute das Stadtarchiv Rothenburgs, 1960 wanderten die Akten aus dem Rathaus ins einstige Gefängnis. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die einstigen Zellen noch als Sozialwohnungen genutzt, ehe das Haus 1945 beim Bombardement der Stadt ausbrannte. Original erhalten sind noch die Kellergewölbe und der benachbarte Markusturm, der baulich das Ensemble begründete. Er stand als Beobachtungsturm für die nahe Stauferburg einst als Solitär, die erste Stadtmauer mit dem Röderbogen kam erst später hinzu – für Franz Antoni Stahl war freilich selbst der neuere Stadtmauerring am Rödertor hunderte Jahre später kein Hindernis bei seiner Flucht durch die Nacht.
Alle Informationen stammen aus einem Interview mit Stadtarchivar Dr. Florian Huggenberger. Vielen Dank!Die Fotos stammen von James Derheim von European Private Focus Tours. Vielen Dank!
-
Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber – das Dominikanerinnenkloster
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Das Interieur der Kirche? Kann weg! Die Mauern? Die Steine lassen sich auch prima zu Geld machen. Der lokale Maurermeister Johann Philipp Krämmer hat die Kirche des einstigen Dominikanerinnenklosters in Rothenburg ob der Tauber 1812 erworben, ersteigert von den neuen Herren in Rothenburg ob der Tauber, den Bayern. Die müssen nach den napoleonischen Kriegen schnell Kasse machen, das Königreich ist wie die Stadt Rothenburg pleite und braucht rasch Devisen. So wird in Rothenburg ob der Tauber, das an das Königreich Bayern fiel, verkauft, was nicht niet- und nagelfest ist. Teile der Stadtmauer (!!!) und Türme werden ebenso feilgeboten und von Privatleuten erworben wie Seen und Weinberge und ebenso manche Kirche der Stadt. Und die können mit dem neuen Besitz machen, was sie wollen. Herr Krämmer schlachtet seinen neuen Besitz aus, die Steine werden abgetragen und wieder verwendet: So verschwindet sie nach und nach, die Kirche des einstigen Dominikanerinnenklosters – samt Inventar. Aus ihren Mauern entsteht Neues – die Kirche wird recycelt.
Dort, wo wir heute in Rothenburg ob der Tauber den Klostergarten vorfinden, gingen einst die Nonnen zur Messe. An der Südseite des heutigen RothenburgMuseums schloss die Kirche direkt an das Kloster an. Das wurde schon lange vor der Episode aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr als Kloster genutzt, diente im 18. Jahrhundert bereits als Lager für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Wein und Getreide wurden von hier aus gehandelt.
Mitte des 16. Jahrhunderts verschwanden die letzten Dominikanerinnen aus dem Kloster, das 1258 von Lupold von Nordenberg als Adelsstift gegründet wurde – übrigens der gleiche Lupold von Nordenberg, der Ihnen auch als Reichsküchenmeister der Stadt begegnet (das Hotel und Restaurant am Kirchplatz sind frei nach ihm benannt).
Mit den Nonnen war es so eine Sache in Rothenburg ob der Tauber. Die Klöster wie das Johanniterkloster (heute das Kriminalmuseum), das Franziskanerkloster (in der heutigen Herrngasse) oder das Beginenkloster (einst in der Klingengasse) der Stadt waren schließlich wie die Stadt selbst reichsfrei und damit rechtlich nur dem Kaiser unterstellt. So tanzten die Verantwortlichen der Bürgerschaft als autarker Ort in der Stadt teilweise doch merklich auf der Nase herum, im Falle eines Streits entschied der Kaiser respektive dessen Juristen. Oftmals dienten die Klöster den Spendern als Machtbasis in einem Ort. Im Falle der Dominikanerinnen ging es einst um das Schankrecht für Wein, das die Stadtoberen für die Bürger beanspruchten.
Da die adligen Damen als Mitgift beim Einzug ins Kloster aber recht häufig Weinberge einbrachten, setzte sich die Oberin des Klosters recht forsch über das Monopol hinweg. Das Urteil fiel zwar gegen die Klosterdamen aus, so richtig interessierte dies aber keinen und der Wein floss aus dem Kloster weiter recht unverhohlen.
Interessant wurde der Konvent für die regionalen Adelsfamilien in Zeiten großer Not: So diente das von der restlichen Bevölkerung weitgehend abgeschottete Kloster im 14. Jahrhundert während der großen Pest als idealer Zufluchtsort. Wer es sich leisten konnte, zog zu jener Zeit als Nonne ins Kloster ein – der christliche Glaube spielte da nur noch eine Nebenrolle.
Der Sittenverfall wurde dann den Oberen der ohnehin eher papsttreuen Dominikanern zu bunt – Moralpredigten und Erinnerungen an die Grundsätze der Klostergemeinschaft verfingen aber nicht bei jeder Dame. Außerhalb der Klostermauern bekam die Bevölkerung nicht viel von diesem Treiben mit, Gerüchte und Geschichten trugen lediglich die Bediensteten des Klosters nach draußen. Diese Angestellten lebten zum Teil in den kleinen Häusern, die noch heute auf der Ostseite gegenüber des Eingangs zum Museum stehen. Die Angestellten verarbeiteten den Wein und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, kümmerten sich um die Sauberkeit im Klostergelände.
Um die Sicherheit der Stadt machten sich die Bürger von Rothenburg ob des Klosters lange Sorgen. Im Nordwesten der Stadt fungierten die Klostermauern als Teil der ersten Stadtbefestigung und waren somit ein neuralgischer Punkt bei Angriffen. Denn wir erinnern uns: Bürger durften das Kloster – ein eigenes Rechtsgebiet – eigentlich gar nicht betreten. Die Lösung waren wohl Gänge auf der Stadtmauer, die zum Kloster hin abgeschirmt waren und von den Verteidigern Rothenburgs aus dem Stadtgebiet erreichbar waren. Beweisen lässt sich das nicht mehr zu 100 Prozent, doch trotz des Raubbaus über die Jahre lässt sich beim Dominikanerinnenkloster die Evolution des Gebäudes an Details noch erstaunlich gut nachvollziehen: es gibt Details aus den Wirtschaftshöfen vor der Klostergründung, die Klosterküche zählt noch heute zu den Höhepunkten des Museums und auch im weiteren Verlauf lassen sich viele Bauabschnitte nachvollziehen. Die heutigen Gemäldegalerien muten nicht nur an wie Büroräume, sie wurden einst auch wirklich so genutzt. Während der (über)eifrige Philipp Krämmer in Seelenruhe die Kirche abtrug, nutzten die Beamten der Stadt die Räumlichkeiten in der 1. Etage nach der Mediatisierung als Rentamt – nach heutigem Verständnis ein Finanzamt. Man kann sich ausmalen, wie beliebt das Gebäude wiederum in der Bürgerschaft Rothenburgs war.
Die Fotografien für diesen Text stammen von James Derheim. Das Foto des Grabsteins von Herrn Krämmer hat uns Dr. Möhring zugesandt. Alle Fakten aus dieser Reihe beruhen auf Gesprächen mit Dr. Möhring, dem einstigen Leiter des RothenburgMuseums.
-
Ein Blick zurück in Rothenburg ob der Tauber – Das Klingenviertel
Wir erfahren im Gespräch mit Dr. Möhring vom RothenburgMuseum interessante Fakten zur Stadtgeschichte.
Im Zeichen der Ordensritter – das Klingenviertel in Rothenburg ob der Tauber
Der letzte zieht die Rüstung aus. Ganz so plakativ kann man sich den Abgang des letzten Ordensritters des Deutschen Ordens aus Rothenburg ob der Tauber im Jahr 1627 natürlich nicht vorstellen. Doch mit dem Abgang des letzten Repräsentanten der christlich geprägten Ritterschaft endet eine 400 Jahre währende Blütephase in der Geschichte Rothenburgs, die das heutige Klingenviertel – also den Bereich der Altstadt nordwestlich der Stadtkirche St. Jakob – bis heute maßgeblich in seiner Struktur prägte.
Das beginnt mit der 500 m langen Klingengasse, die das kleine Viertel der Altstadt von der Jakobskirche in Richtung Klingenturm und Schäferkirche durchzieht. Denn diese diente den Ordensrittern einst als Ausfallstraße und direkte Verbindung zum nächsten Ordenssitz im 14 Kilometer entfernten Reichardsroth. Für den Handel der Rothenburger Bürger war dieser Teil der Stadt gänzlich uninteressant. Zumal auch die Dominikanerinnen im nahen Kloster nur wenige Bedienstete beschäftigten. Anders als in Bad Mergentheim prägte den Sitz der Ordensritter in Rothenburg keine Schlossanlage. Zwischen dem heutigen Kirchplatz und der Deutschherrngasse (im Straßennamen lebt das Erbe noch fort) sowie der Klingengasse befanden sich vielmehr Wohn- und Wirtschaftshäuser. Die heutige Stadtbücherei und das benachbarte Wohnhaus gehören noch zur ursprünglichen Baustruktur.
Und Wirtschaft ist hier wörtlich zu nehmen: Neben dem kriegerischen Aspekt – es gab sicherlich auch Rothenburger Ordensritter, die an Kreuzzügen teilnahmen und sich so beim Kaiser eine höhere Stellung verschafften – war der Orden in aller erster Linie ein Wirtschaftsbetrieb. Ähnlich wie im nahen Kloster brachten die neuen Ritter landwirtschaftliche Güter in den Orden ein, lange florierte der Handel. Und so ist es kein Wunder, dass der Orden ein bis heute prägendes architektonisches Element der Stadt initiierte: die finanziellen Ressourcen ermöglichten die Planung einer Kirche, St. Jakob. Dass der christliche Orden diese in der Folge ob ausbleibender finanzieller Ressourcen nicht fertigstellen konnte und die Rothenburger Bürgerschaft das Vorhaben beendete, ist eine Besonderheit in der Stadt. Ähnlich wie in Augsburg und Würzburg war der Orden aber auch in Rothenburg ob der Tauber in der Folge verantwortlich für die weitere städtebauliche Entwicklung an dieser Stelle. Denn als der Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider in Auftrag gegeben wurde, brauchte es zusätzlichen Platz in der Kirche St. Jakob. Gen Westen konnte diese noch wachsen, doch dort verlief die Klingengasse. Und für jene beanspruchten die Ordensritter das Nutzungsrecht – kein Wunder, wären sie doch sonst komplett vom Marktplatz und Zentrum der Stadt abgegrenzt gewesen. Und so mussten die Planer die Kirche ÜBER die Gasse erweitern
400 Jahre Ordensritter in Rothenburg, da hat sich in der Nachbarschaft des Klingenviertels natürlich viel getan. Einst endete die Stadt an der heutigen Judengasse. Die jüdische Bevölkerung, die sich auf den Wohnbereich bezogen auch mit christlichen Nachbarn vermischte, lebte dort zunächst „extra muros“ – also außerhalb der Stadtmauer auf dem zugeschütteten Stadtgraben. Auch der alte jüdische Friedhof am heutigen Schrannenplatz war außerhalb der ersten Stadtbefestigung. Gewachsen ist das Klingenviertel ab der ursprünglichen Stadtmauer erst ab dem Jahr 1370 und damit NACH dem Spitalviertel im Süden – somit ist es das jüngste Viertel in der Altstadt.
Im späten 14. Jahrhundert wuchs die Stadt unter dem legendären Bürgermeister Heinrich Toppler rapide. Im Klingenviertel siedelten sich anfangs (eine Besiedlung ist laut Schnurrer ab 1377 nachgewiesen) jene Handwerker und Berufszweige an, die das Leben für die Nachbarn im Zentrum unangenehm machten: Büttner, deren Hämmern laut dröhnte und Hafner, die mit Feuer arbeiteten, wurden aus dem ursprünglichen Stadtkern ebenso verdrängt wie die Gerber, deren Handwerk dem Nachbarn stank. Neben dem Henker lebte im Klingenviertel auch der Abdecker, der sich um die Tierkadaver und andere Abfälle in der Stadt kümmerte. Die landeten im Nordosten Stadt am so genannten Kummereck gleich außerhalb der neuen Stadtmauer – im Endeffekt war dies eine mittelalterliche Müllhalde. Es stank also gewaltig rund ums Klingenviertel. Und in der heutigen „Altfränkischen Weinstube“ befand sich einst wohl der Schweinestall des nahen Dominikanerinnenklosters.
Doch auch Wohlriechendes durften Passanten im Viertel erleben. Im Haus mit dem berühmten Renaissanceerker in der Klingengasse ist so die Bäckerei Feuerlein belegt. Die jüdische Bevölkerung in der nahen Judengasse verfügte über ihre eigenen Bäcker und Metzger – am Weißen Turm stand das Gemeindezentrum. So manche Patrizierfamilie aus der Herrngasse leistete sich im Klingenviertel einen Garten zur Nahversorgung, besonders schön zu sehen am Eingangsportal zur einstigen Grünfläche der Adelsfamilie Albrecht im Fuchsengässchen. Klingenweth heißt die Gasse entlang der wehrhaften Stadtmauer im Norden – eine Weth ist ein Löschteich bei Angriffen und zur Versorgung von Pferden. Mit dem Schwarzen Adler entstand ein Wirtshaus an der Klingengasse, am Schrannenplatz später eine Scheune und ein Bauernmarkt.
Die Häuser der Handwerker im Klingenviertel gerieten natürlich kleiner als jene der Adelsfamilien im Zentrum der Stadt – lange nach dem Abzug des letzten Ritters nutzten im späten 19. Jahrhundert die nicht ganz so gut betuchten Künstler aus aller Welt den Wohnraum und zogen in den Norden der Altstadt: die Bilder von Arthur Wasse, Wilhelm Schacht oder Theodor Alt trugen mit dazu bei, dass Rothenburg touristisch entdeckt wurde, heute werden die hier entstandenen Gemälde im nahen RothenburgMuseum ausgestellt. Doch das Klingenviertel bleibt das versteckte Viertel hinter St. Jakob, ein genauer Blick auf die Wappen und Zeichen an den Hausfassaden lohnt. Mit den Arbeiten in der Judengasse 10 und 12 entsteht zudem ein interessantes Zentrum für all jene, welche die jüdische Geschichte der Stadt interessiert.
Den fotografischen Rundgang durch das Viertel verdanken wir James Derheim!